Ansichten zum Holocaust in Ost- und Westdeutschland

Von Elinor Atary


Einleitung
Im Dezember 2004 nahm ich an einer Reise von Schuelern nach Deutschland teil (Austauschprogramm). In einem vorbereitenden Gespraech sagte man uns, dass zwei neonazistische Parteien in das Parlament gewaehlt wurden. Ich wusste wenig ueber die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und stellte mir die Frage, ob die Deutschen genug ueber den Holocaust wissen, um daraus zu lernen.

So entstand meine Grundfrage:
Gab es Unterschiede im Bildungssystem zwischen Ost- und Westdeutschland bezueglich des Holocaust? Wenn ja, was sind die Unterschiede und was die Folgen?

Ich glaube (persoenliche Meinung), dass es Unterschiede in der Behandlung des Holocaust zwischen Ost und West gab, die durch die unterschiedlichen politischen Systeme begruendet sind. Der Ostteil hat, meiner Ansicht nach, weniger aus der Vergangenheit gelernt und es deshalb den rechten Parteien ermoeglicht, in's Parlament einzuziehen.
Ich behandle in meiner Arbeit den Holocaust, die Bildung und Deutschland an sich. Den Holocaust, weil er mich als Juedin und meine Familie direkt betrifft und die Bildung, weil sie fuer mich die Basis der Gesellschaft darstellt. Deutschland hat mich schon immer interessiert. Die Sprache, die Geschichte, die Kultur etc.
Ich denke, dass man aus den Fehlern, die in der Vergangenheit gemacht wurden, lernen sollte. Im Besonderen, was den Holocaust angeht.
Im Oktober 2005 bereiste ich Polen, was mir weitere Motivation fuer diese Arbeit gab.

Umgang der Westdeutschen mit dem Holocaust
In den den ersten Jahren nach 1945 war Westdeutschland sehr mit dem eigenen Wiederaufbau beschaeftigt und deshalb fand kaum Auseinandersetzung mit dem Holocaust statt. Erst in den 50ern began man in den Schulen dieses Thema zu behandeln. Die Lager waren gespalten. Einige Leute meinten, man solle am besten gar nicht ueber den Holocaust reden, die Anderen dass es wichtig sei. Ein wichtiges Element waren die Lehrer selbst. Viele Lehrer des Naziregimes setzten auch nach dem Krieg ihre Arbeit an den Schulen fort und ver-/behinderten somit die Behandlung des Themas Holocaust. In westdeutschen Schulbuechern wurde in den 50ern ueber den zweiten Weltkrieg berichtet. Schulbuchverlage hatten drei unterschiedliche Gruende, ueber den Holocaust zu berichten.
1. die Pflicht den Juden gegenueber, den Holocaust zu behandeln
2. um politische Schluesse zu ziehen und fuer die Zukunft zu lernen
3. den Holocaust als Teil der Geschichte Deutschlands zu verstehen
Auch die Schueler waren durch die "Gehirnwaesche" der Nazis immun gegenueber dem Holocaust. Viele verstanden in den ersten Nachkriegsjahren gar nicht, was da eigentlich geschah.

Eichmann
Adolf Eichmann, Fuehrer des Sicherheitsbueros im dritten Reich, wurde 1960 in Argentinien gefasst und1961 hingerichtet. Das einjaehrige Gerichtsverfahren in Israel sorgte vor allem in Westdeutschland fuer grosse Aufmerksamkeit. Ab 1960 war es in Westdeutschland Pflicht, den Holocaust im Unterricht zu behandeln. In einem 1963 durchgefuehrten Test saemtlicher Geschichtsschulbuecher fiel auf, dass mit immer mehr Abstand ueber den Holocaust berichtet wurde und Daten/Zahlen wichtiger waren, als persoenliche Schicksale. Berichte ueber die Terminologie der Nazis fuehrten zum Beispiel dazu, dass die Westdeutschen das Geschehene als "Naziverbrechen" abtaten und der Bezug zum deutschen Volk fehlte. Woerter wie "Endloesung" klangen so legitim und neutral. Eine neue Generation von Lehrern hatte allerdings positiven Einfluss auf die Schueler. Sie waren nicht mehr von den Nazis beeinflusst worden und konnten so freier unterrichten. Zusammenfassend ist zu sagen, dass in den 60ern umfassender ueber den Holocaust berichtet wurde, die Schulbuecher aber noch sehr verbesserungswuerdig waren.
Die 70er
Der Prozess der Aufklaerung fand ihren Hoehepunkt in der Studentenbewegung im Jahre 1968. Die Nachkriegsgeneration wollte nicht wie ihre Eltern handeln und leben und gab sich nicht mit dem Gedanken an das Geschehene zufrieden. Sie wollten aufklaeren und zum Nachdenken anregen. 1975 wurden an der Universitaet Duisburg zahlreiche Schulbuecher ueberprueft und verbessert. Die Generation der 70er konnte frei ihre Meinung aeussern den die Demokratie gab ihnen das Recht dazu. Sie sahen sich keiner Bedrohung ausgesetzt. Auch in anderen Faechern wie Religion und Staatsbuergerkunde wurde nun ueber den Holocaust berichtet.
Die 80er
Die amerikanische TV-Dokumentation "Schoah" im Jahre 1979 brachte den Holocaust zurueck auf die Bildschirme. In den vier Teilen wurde auch ueber die Konzentrationslager berichtet und bis zu 20 Millionen Menschen sahen die Dokumentation. Obwohl die Schulbuecher bereits verbessert wurden waren sie doch sehr raziona lund die Fernsehbilder machten deutlich, dass eine emotionale Berichterstattung die Menschen besser erreicht. In den Geschichtsbuechern wurden die Schueler deshalb immer oefter dazu aufgefordert, sich ueber die Schicksale ueberlebender Juden zu informieren.

Behandlung des Holocaust in Ostdeutschland

Christian Meier schrieb in "40 Jahre nach Auschwitz" dass sich die Ostdeutschen in den ersten Jahren der DDR so gut wie gar nicht mit dem Holocaust auseinandersetzten. Desweiteren fand ich in meinen Recherchen kaum Quellen, die sich speziell auf Ostdeutschland bezogen. In Gespraechen mit ehemaligen Schuelern der 70er und 80er Jahre erfuhr ich, dass der Holocaust schon in jungen Schuljahren behandelt wurde. In spaeteren Jahren wurde dieses Wissen noch vertieft. Ab dem 14. Lebensjahr, nach der "Jugendweihe", wurden sogar ehemalige Konzentrationslager besucht und das Thema Holocaust noch ernster behandelt. Ich hatte in den Gespraechen mit den Ostdeutschen das Gefuehl, dass sich von den Unterrichtsmethoden der DDR ueberzeugt waren und sie fuer gut befanden.

Die ersten Jahre nach dem Krieg

Die Sowjets kontrollierten das Geschehen in Ostdeutschland und entliesen alle bis 1945 unterrichtenden Lehrer. Sie erstellten ein voellig neues Bildungssystem, bestehend aus neuen Lehrern und kommunistischem Lehrnstoff. Der Holocaust wurde als faschistisches, kapitalistisches Verbrechen verstanden und unterrichtet. Die Nazis galten als Feinde des Kommunismus was das Ansehen der kommunistischen Idee verbesserte. Der Holocaust wurde als politisches Mittel gegen den Kapitalismus verwendet was dazu fuehrte, dass in Ostdeutschland keinerlei Schuldgefuehl fuer das Geschehene vorhanden war.

Nach der Gruendung der DDR

Auch nach der Gruendung der DDR wurde der Holocaust als politisches Mittel missbraucht. Schuldgefuehle und ein wahres Auseinandersetzen mit Einzelschicksalen waren so nicht moeglich. 1956 wurde das KZ Sachsenhausen erstmals fuer Besucher eroeffnet. Schon 1960 hatten die meisten der DDR-Schueler eines der Konzentrations- oder Arbeitslager besucht. Wichtig zu erwaehnen ist, dass die grossen Ereignisse der BRD (Eichmann 1961 / Studentenbewegung 1968 / TV-Dokumentation "Schoah" 1979) auch in der DDR Wirkung zeigten, allerdings eher den kommunistischen Gedanken staerkten "den man hatte ja mit all dem nichts zu tun". Abschliessend bleibt zu sagen, dass sich die Ostdeutschen zwar schon sehr frueh mit dem Holocaust auseinandersetzten, allerdings ausschliesslich aus ideologischen Gruenden und nicht aus aufklaererischen.

Umgang mit dem Holocaust, ein Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland

Bis hier hin kann ich sagen, dass Ost und West das Thema Holocaust auf sehr unterschiedliche Weise behandeln. Gruende hierfuer sind die Unterschiede in Politik, Finanzen und Gesellschaft.

Westdeutschland musste sich nach nach dem Krieg erst neu ordnen unter der amerikanisch/britisch/franzoesischen Herrschaft und setzten sich somit kaum mit dem Holocaust auseinander. In Ostdeutschland dienten der zweite Weltkrieg und der Holocaust schnell als Mittel zum Zweck, um sich mit dem Kommunismus zu identifizieren. In westdeutschen Schulen berichtete man ueber den Holocaust, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. In Ostdeutschland nutzte man Krieg und Holocaust nur fuer eigene, politische Zwecke. Waehrend die neuen, ostdeutschen Lehrer kein Problem hatten, ueber den Holocaust zu sprechen, verabschiedeten sich die westdeutschen Lehrer (welche schon im dritten Reich unterrichteten) nur sehr langsam und mit grosser Muehe von ihren nazistischen Ansichten. Waehrend ostdeutsche Schueler die Konzentrationslager schon in den 60ern besuchen konnten, war dies fuer die westdeutschen erst in den 70ern moeglich.

Folgerungen aus dem Vergleich

Die ostdeutsche Auseinandersetzung mit dem Holocaust setzte zwar schon frueh ein, hatte aber ausschliesslich eigene, politische Ziele, was in meinen Augen falsch war. In Westdeutschland unterrichtete man stufenweise und strukturierter, was die Menschen sensibler fuer den Holocaust machte.
Nicht zu vergessen ist allerdings, dass die jeweiligen Besatzungsmaechte den Regierungen vorschrieben, wie mit dem Thema Holocaust umzugehen sei.
Nach allem, was ich bisher gelernt habe kann ich sagen, dass die westdeutsche Art sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen besser und ehrlicher war.

Folgen der unterschiedlichen Herangehensweise

Neonazis glauben an die Ideologie der Nazis und des Faschismus. Weil es sich hier um ein relativ neues Problem handelt bezog ich meine Informationen aus Zeitungsartikeln und aus dem Internet.
Neonazis im heutigen Deutschland

Verglichen mit anderen Laendern (wie USA, England oder Frankreich) ist Deutschland weniger auslaenderfeindlich. Dennoch nehmen die auslaenderfeindlichen Uebergriffe in Deutschland in den letzten Jahren zu. Unter anderem koerperliche Gewalt, Grabschaendung und Schaendung von Synagogen. Der deutsche Sicherheitsdienst spricht derzeit von ca. 2800 aktiven Neonazis in Deutschland. Andere Quellen sogar von 10.000 bis 20.000. Ich fand hier keine Angaben ueber die Zahl der Nazis in Ost- bzw. Westdeutschland und kann hier nur Ergebnisse von Wahlen als Bezugspunkte heranziehen. In zwei ostdeutschen Bundeslaendern (Sachsen, NPD 9% / Brandenburg, DVU 5%) schafften es rechte Parteien, auf legale und demokratische Weise in's Parlament gewaehlt zu werden.

Gruende fuer Neonazis in Deutschland

Schlechtere finanzielle Verhaeltnisse in Ostdeutschland nach der Wende und eine hohe Arbeitslosigkeit (fast 20%) sorgten fuer eine Verschlechterung der Lebensbedingungen. Ein weiterer Grund ist Langeweile. Zum Grossteil haben die Kinder liberale Eltern welche nichts gegen Rauchen, Drogen, Sex und Alkohol haben und einige Jugendliche suchen sich ihr Ansehen bei den Nazis. Sie rasieren sich die Koepfe und rufen "Heil Hitler".
Obwohl ich bei meinen Recherchen keinen eindeutigen Beweis fuer den Einfluss der unterschiedlichen Herangehensweise an's Thema Holocaust nach dem Krieg fand denke ich schon, dass die Vergangenheit eine Rolle spielt. Auch vor der Zeit Hitlers hatte Deutschland mit Armut und Arbeitslosigkeit zu kaempfen.
Mehr als die Armut in Ostdeutschland beunruhigt mich die Legitimierung von nazistischem Verhalten bei Jugendlichen. Sie fuert zur Desensibilisierung der Menschen und laesst sie vielleicht sogar eine rechte Partei waehlen.

Schlussfolgerungen

Eindeutig gab es Unterschiede in der Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland fand eine ehrliche und sensible Auseinandersetzung mit dem Holocaust statt waehrend er in Ostdeutschland nur aus eigenen, politischen Interessen behandelt wurde. Ich konnte in meinen Recherchen kaum Beweise fuer den Einfluss der unterschiedlichen Vergangenheit auf die heutigen Tage finden, bin aber dennoch ueberzeugt, dass es ihn gibt. Es faellt mir schwer zu glauben, dass die unterschiedliche Berichterstattung zwischen 1945-1990 keinen Einfluss auf die heutige Generation hat.

Zusammenfassung

Diese, meine Arbeit hat viele meiner Fragen beantwortet aber auch neue hervorgebracht. Ich werde in Zukunft versuchen, diese zu beantworten. Es fiel mir schwer, Informationen auf hebraeisch zu finden jedoch lernte ich durch meine Arbeit neue, interessante Menschen kennen. Ehemalige ostdeutsche Schueler und Lehrer sprachen mit mir ueber das Erlebte. Ausser dem Stoff an sich lernte ich viel ueber die Erarbeitung einer solchen Forschungsarbeit.
"Wir sollten uns alle eine Meinung ueber die Zukunft bilden den in ihr werden wir den Rest unseres Lebens verbringen." (Charles Catering)
Ich denke wir sollten mehr tun, als uns nur eine Meinung ueber die Zukunft zu bilden.